Die Finanzindustrie verweilt zwischen Tradition und Moderne: Rigide Compliance-Vorschriften, konventionelle Geschäftsabläufe und konservative Arbeitsweisen verlangsamen die Überfahrt in die digitale Welt. Hier kommt Künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel: KI-Lösungen bringen neue Chancen und entlasten die Mitarbeiter. Vor allem für repetitive Aufgaben drängen sich solche Technologien geradezu auf.
Von Dr. Lars A. Ludwig, Experte für Unternehmenssoftware im Finanzbereich und Geschäftsführer von Targens
Die digitale Transformation ist zur Feuertaufe für die Finanzindustrie geworden. Zwischen klassischen Filialbanken und Neobanken aus der Fintech-Szene tobt ein unerbittlicher Verdrängungswettbewerb. Gleichzeitig schrumpft die Cost-Income-Ratio (CIR) wegen sinkender Einnahmen im Firmen- und Privatkundengeschäft, anhaltender Niedrigzinsen und der Abwanderung des Kreditgeschäfts ins Internet, während auf der Ausgabenseite hohe Personalkosten auf den Profit drücken – und als wäre das nicht schon genug, droht mit der Pandemie eine neue Bankenkrise. Eine Corona-bedingte Pleitewelle in Europa würden einige Geldinstitute nicht überleben, warnte kürzlich Ex-Bafin-Chef Felix Hufeld.
Ein Blick hinter die Kulissen der Finanzwirtschaft offenbart das Dilemma, in dem Banken und Sparkassen stecken. Es sind vornehmlich die vielen gesetzlichen Bestimmungen, wie die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) und andere nationale und internationale Regularien in Verbindung mit Compliance-Anforderungen, die für Geldhäuser einen besonders hohen, aber auch unvermeidbaren Aufwand verursachen. Geldwäschegesetze, Embargo- und Sanktionsauflagen, Vorkehrungen gegen Terrorismusfinanzierung oder Transaktions-Monitoring – die strengen nationalen und internationalen Auflagen führen allesamt zu hoch komplexen Prozessen im Geschäftsalltag.
Unterdessen bedrohen die Auswirkungen der digitalen Transformation das einst blühende Geschäft. Neue Kundengruppen mit veränderten Ansprüchen und Vorstellungen entstehen, das Filialgeschäft weicht dem Internet, Investmentpläne laufen auf Smartphones. Doch für Banken und Sparkassen sind die Entwicklungen der Digitalisierung nicht nur Fluch, sondern auch Segen. Längst lassen sich IT-Innovationen nicht mehr nur dafür nutzen, neue Geschäftsmodelle wie das Video-Ident-Verfahren ins Leben zu rufen. Auch für das Kerngeschäft eignen sich KI-Technologien ganz vortrefflich – etwas um Prozesse zu optimieren. Zeit einzusparen, den Aufwand zu reduzieren und somit die eigene Unternehmensbilanz im grünen Bereich zu halten.
Für das Kerngeschäft eignen sich KI-Technologien vortrefflich
So etwa mit Predictive Analytics: Die Analysemethode verwendet aktuelle und historische Daten, um Ereignisse vorhersagen, zukünftige Entwicklungen abschätzen und rechtzeitig auf Veränderungen im Finanzumfeld reagieren zu können. Mögliche Einsatzgebiete sind Fraud Prevention, Anti-Market-Abuse, Credit Scoring, die Vorhersage von Kundenabwanderung und Kursbewegungen. Ebenso sind Finanzinstitute durch tiefgehende Analysen in der Lage, individuelle Finanzprodukte zu entwickeln, neue Cross-Selling-Möglichkeiten zu identifizieren und die Kundenzufriedenheit zu erhöhen.
Transaktions-Monitoring mit KI-Unterstützung
Als ein typisches Beispiel für den Einsatz von KI-Lösungen wie Machine Learning (ML) dient das sogenannte Transaktions-Monitoring – die Kontrolle und Überwachung von Geldtransfers. Diese Aufgabe bindet für gewöhnlich besonders viel Zeit und Personal. Die Automatisierung des Monitorings durch ML ermöglicht es, Auffälligkeiten in Transaktionen wesentlich schneller, genauer, und kostengünstiger zu erkennen als bisher. Die Vorgehensweise: Die KI trifft eine Ersteinschätzung, bevor der Mensch sein Votum einlegen kann. Das schafft zusätzliche Sicherheit und spart Zeit.
Wie sich der Einsatz von KI-Technologien in diesem Bereich in barer Münze auszahlt, wird klar, wenn an die übliche Praxis beim Transaktions-Screening genauer unter die Lupe nimmt. So kommen in großen Banken hochkomplexe Regelwerke zum Einsatz. Das bedeutet jedoch, dass ohne technische Unterstützung unzählige Transaktionen täglich überprüft und viele davon bearbeitet und freigegeben beziehungsweise angehalten werden müssen.
Ein wesentliches Problem dabei: Das Monitoring dieser Transaktionen ist teuer, weil die Bearbeitung der von dem Systemen erzeugten Meldungen heute noch hauptsächlich manuell erfolgt. Nicht selten finden sich große Kreditinstitute in der Situation wieder, Mitarbeiter ausschließlich dafür engagieren zu müssen, die verschiedenen und teils komplexen System-Alerts korrekt beurteilen zu können. Das noch größere Problem: Die meisten dieser verdächtigen Transaktionen stellen sich bei genauerer Untersuchung nämlich als Fehlalarme heraus. Nicht weniger als 98 Prozent dieser Meldungen zählen typischerweise zu dieser Alert-Gruppe. Erschwerend hinzu kommt, dass die Meldungen über vermeintlich verdächtige Transaktionen kontinuierlich anwachsen, weil nicht nur die Sanktionskontrollen selbst zunehmen. Auch die Komplexität der staatlich verordneten Vorschriften steigt. Von effizienten Geschäftsprozessen kann heute schon keine Rede mehr sein. KI-basierte Lösungen unterstützen Finanzinstitute dabei, den Herausforderungen gerecht zu werden.
Exploratory Analytics: Clustering macht Monitoring effizient
Wie sich KI-Technologien ganz konkret zur Reduzierung von False Positives einsetzen lassen, zeigt sich am Beispiel des Clusterings in einem konkreten Anwendungsfall. Die Implementierung in einer großen internationalen Bank zeigte die ganzen Vorteile des Verfahrens: Die ML-Methode wird dort seit Ende 2020 dazu verwendet, Kunden anhand ihres tatsächlichen Zahlungsverhaltens automatisch in dynamische Gruppen einzuteilen.
Anders als bei der statischen Vorgehensweise, bei der Kunden feste Kundenmerkmale zugeordnet werden müssen, hat die Segmentierung per Clustering den Vorteil für das Finanzinstitut, dass sich Schwellenwerte des Indiz- und Szenarien-Modells genauer und abhängig vom Kundenverhalten definieren lassen. Denn: Beim Statischen Verfahren wird je Kundengruppe und Indiz ein Schwellenwert festgelegt. Überschreitet der Kunde diesen Schwellenwert, gilt er als auffällig und muss vom Compliance-Mitarbeiter überprüft werden. Folglich werden viele Kunden bei dieser Vorgehensweise auffällig, obwohl ihr Zahlungsverhalten gar nicht verdächtig ist. Clustering-Verfahren ermöglichen es nach der Erstellung eines KI-Modells hingegen, Kunden auf Basis ihrer Transaktionen bestimmten Kundengruppen zuzuordnen. Beim Einsatz in der internationalen Bank werden damit beispielsweise nicht mehr alle Kunden mit Berufsbezeichnung Manager in einen Topf geworfen, sondern über niedrige, mittlere oder hohe Aktivität bestimmten Gruppen zugeordnet. Die Idee dabei ist, dass sich Kunden innerhalb eines Clusters in Bezug auf ihr Transaktionsverhalten ähnlich verhalten. Für eine granulare Zuordnung sorgt schließlich die Möglichkeit, die Zahl der Gruppen und Transaktionsvariablen spezifisch festlegen zu können.
Anders als in statischen Kundengruppen, in denen also die Berufe Manager sowie Vorstände und Filialleiter gleichbehandelt werden, spielt im Clustering das Einkommen und damit verbunden auch das Zahlungsverhalten der Einzelpersonen eine wichtigere Rolle. Um ein noch besseres Trefferbild zu erzielen, wird die statische Kundensegmentierung durch ein Clustering zusätzlich mit einer verhaltensbasierten Einteilung ergänzt. Einflussgrößen können etwa Anzahl und Höhe von Bar- oder Auslandstransaktionen sowie das Transaktionsvolumen insgesamt sein. Eine verhaltensbasierte Einteilung der Kunden ermöglicht es auch, auffällige Verhaltensänderungen wesentlich früher festzulegen als in der Vergangenheit.
Datenqualität beeinflusst Ergebnisse
Vor dem eigentlichen Clustering erfolgt für jede Gruppe eine sogenannte Ausreißer-Analyse. In der Praxis werden auf diese Weise Beobachtungen, die sehr weit von den übrigen Datenpunkten entfernt liegen, also sogenannte Ausreißer identifiziert. So ist der Compliance-Verantwortliche des Finanzinstituts in der Lage, die Qualität der Informationen regelmäßig zu überprüfen.
Wert gelegt wurde bei der Implementierung darauf, dass sich das Clustering-Modul flexibel an die individuellen Anforderungen anpassen lässt und die Bank frühzeitig auf Veränderungen reagieren kann. Dazu gehören die Summe der Cluster, die Eingabeparameter und deren Anzahl sowie die Ausreißer-Analyse. Hinzu kommt ein automatisiertes Nachtrainieren des Clustering-Modells, die Zuordnung von neuen Kunden zu bestehenden Clustern, aber auch das erneute Clustering nach einem bestimmten Zeitraum, um aktuelle Marktentwicklungen und Kundenveränderungen abbilden zu können.
Das Resultat der Implementierung konnte die Verantwortlichen der Bank durchweg überzeugen. Heute profitiert das Finanzinstitut nicht nur von stark reduzierten False Positives. Auch der Aufwand und die Kosten für die Bearbeitung der Alerts ließen sich signifikant senken. In Zahlen bedeutet das: zwei Drittel weniger Alert-Aufkommen und eine wesentlich höhere Trefferquote bei verdächtigten Transaktionen.
Big Data macht’s möglich
KI-Lösungen drängen sich vor allem für repetitive Tasks geradezu auf, Eine genauere verhaltensbasierte Klassifizierung von Kunden führt zu einer Senkung der False Positives, damit zu weniger Aufwand für den Menschen und zu einer Erhöhung der Trefferqualität. Möglich wird das alles durch die Einbindung von Big Data in Verbindung mit entsprechenden KI-Lösungen. Sie verwenden existierende historische Daten aus vergangenen Jahren zur Analyse. Damit ist eine automatisierte Vorauswahl möglich, bevor komplexe, zweifelhafte oder nach wie vor verdächtige Transaktionen zur finalen Überprüfung an Compliance-Verantwortliche übergeben werden,
Das Ergebnis ist immer dasselbe: Die Effizienz steigt, die Kosten sinken drastisch, Compliance-Mitarbeiter können sich auf die wirklich schwierigen Themen konzentrieren . und der Fachkräftemangel verliert seinen Schrecken.
Aber auch in Sachen Effektivität machen KI-Technologien wie ML und Deep Learning mittlerweile Schule in der Finanzindustrie, weil sich nicht nur die Daten, sondern auch die Prozessqualität erhöht. Das wiederum führt zu wesentlich besseren Entscheidungen für die Bankensteuerung – etwa in Verbindung mit Score-Rating-Modellen und der Beurteilung von Kreditvergaben. Durch die maschinelle Unterstützung lassen sich wesentlich genauere Entscheidungen darüber treffen, ob Kreditanträge von Kunden akzeptiert oder abgelehnt werden sollten, weil die Risikobewertung auf genaueren Datenbeständen beruht und historische Erfahrungswerte in die Kalkulation mit einfließen.
Gleiches gilt für das Thema Liquidität – ein für das Finanzwesen schon fast ebenso lästiges wie geschäftskritisches Thema: Hohe Geldsummen, die abhängig von bilanziellen Prognosen vorgehalten werden müssen, sind nicht nur teuer, sondern auch äußerst schwer berechenbar. Hier beeinflussen vor allem externe und unvorhersehbare Marktereignisse sowie politische Entwicklungen die Höhe der Geldreserven von Banken und Sparkassen. Aber auch Währungsschwankungen und sogar geografische und demografische Faktoren erschweren es Finanzanalysten ohne KI-Unterstützung, den passenden Liquiditätspuffer zu berechnen und anzupassen.
Anders als es mit statischen und statistischen Erfahrungswerten und manuellen Berechnungen möglich ist, kann KI den finanziellen Minimalpuffer jederzeit, bedarfsorientiert und wesentlich genauer justieren. Dazu wertet die Technologie sämtliche zur Verfügung stehenden strukturierten Daten aus, um Modelle kontinuierlich zu trainieren. Anders ausgedrückt: Banken müssen sich nicht mehr strikt auf Expertenwissen verlassen, sondern setzen zusätzlich auf belastbare Zahlen aus der Vergangenheit, die von Algorithmen und zur Modellierung des Liquiditätspuffer verwendet werden könne. Schon minimale Veränderungen durch eine systemgestützte Liquiditätsprognose wirken sich dann schnell in zweistelligen Millioneneinsparungen aus.
Conversational AI: Spracherkennung
Dass sich KI nicht mehr nur für das Kerngeschäft von Banken eignet, zeigen indes Implementierungen innovativer Spracherkennungstechnologien zugunsten einer besseren Bindung existierender Kunden und des Neukundengeschäfts. Ebenso wie in anderen Branchen sind Finanzinstitute mehr denn je gefordert, bestehende Klientel mit hochwertigeren Services zufriedenzustellen. Gleichzeitig besteht die Herausforderung, das Interesse neuer, vornehmlich junger und Internetaffiner Kundengruppen zu wecken, Dafür kommen unter anderem digitale KI-Assistenten in Form vom Natural Language Processing (NLP), Automatic Speech Recognition (ASR) und Natural Language Understanding (NLU) zum Einsatz. Sie verstehen die menschliche Umgangssprache, erkennen semantische Zusammenhänge und ziehen Rückschlüsse aus den gesammelten Informationen.
Wir etwas nicht verstanden, erfolgt eine automatisierte Nachfrage. So avancieren die Chatbots der nächsten Generation zum perfekten Kommunikator zwischen Menschen und Computern, der die Kundenzufriedenheit im Customer Support erhöht und den internen Aufwand von Banken reduziert. Ein beispielhafter Anwendungsfall sind Social-Media- und Sentiment-Analysen: Durch die Analyse von Texten und die Integration zusätzlicher Datenquellen wird eine positive oder negative Stimmung der Zielgruppe erkannt. Bankberater sind dann in der Lage, entsprechend zu reagieren.
Die Grenzen der Banken-KI
Unabhängig davon, ob in Sachen KI Effizienz, Kostenoptimierung oder für das Neukundengeschäft im Zeitalter der Digitalisierung zum Einsatz kommen soll – das Bankenumfeld wird und bleibt dominiert von zwei Faktoren: Sicherheit und Planbarkeit. Besonders die Geschäftsprozesse im Finanzumfeld sind geprägt von der Nachvollziehbarkeit aller Entscheidungen und Abläufe. Anders als in anderen Wirtschaftssegmenten kommt es hier nicht zwingend darauf an, den selbsterlernten Charakter einer KI für das Geschäft zu nutzen. Vielmehr gilt es, maschinelle Intelligenz für ein kontrolliertes Lernen zu verwenden, um revisionssichere und nachvollziehbare Modelle zu entwickeln, die sich an den festen Regel und Abläufen der Bankprozesse orientieren und sich bewährt haben.
Bei alledem spielt der Begriff Explainable AI die zentrale Rolle: In vielen KI-basierten Systemen wissen Anwender nämlich nicht, wie und warum es zu den vorliegenden Ergebnissen kam. Dies wird als Blackbox-Problem bezeichnet. Ohne Lösung dieses Blackbox-Problems können und dürfen KI-Verfahren in Banken und Sparkassen aus rechtlichen Gründen nicht genutzt werden, etwa bei automatisierten Finanzhandeln. Besonders Finanzinstitute benötigen deshalb eine KI, die nachvollziehbare und reproduzierbare Entscheidungen trifft. Explainable AI ist in diesem Zusammenhang eine zwingende Voraussetzung um die Compliance gewährleisten zu können und umfasst Methoden sowie Techniken, mit denen die Aktivitäten der KI transparent und eindeutig erklärbar sind.
Fazit
Unbestritten ist: Die Zukunft des Bankenwesens liegt in der Digitalisierung von Prozessen. Spätestens die Corona-Pandemie mit harten Kontaktbeschränkungen hat uns vor Augen geführt, dass die Beratung in der Filiale bald der Vergangenheit angehört. Hinzu kommen Herausforderungen in der internen Steuerung: Prozesse müssen schlanker und kostengünstiger gestaltet, neue Geschäftsfelder besetzt und bestehende auf Zukunft getrimmt werden. Dazu gehören beben klassischen Abläufen mit Kreditrisiken und Liquiditätspuffer auch neue Dienstleistungen wie Self-Service-Angebote und jenseits gängiger Dienste wie Kartensperrungen und Kontoabfragen.
Denn – und das gilt für die Finanzwirtschaft ebenso wie für die Privatwirtschaft – sowohl Geschäfts- als auch Privatkunden erwarten eine individuelle, kompetente Beratung: persönlich ebenso wie über das Internet, per Smartphone, orts- und zeitunabhängig. Dann ist der Weg von der Tradition zur Moderne auch nicht mehr weit.
Link zum Artikel:
https://webkiosk.die-bank.de/kinote-012021/65644383