Das Ende von IBOR – Was ändert sich für die Finanzbranche?

Der Kapitalmarkt befindet sich momentan mitten in einem der größten Umbrüche seit der Euro-Einführung: das Ende von IBOR (Interbank Offered Rates) und weiterer Referenzzinssätze im globalen Finanzmarkt. Banken passen ihre IT-Systeme und Geschäftsprozesse bereits jetzt entsprechend an, um sich und ihre Kunden reibungslos durch die Reform steuern zu können.

Von Dr. Lars A. Ludwig, Experte für Unternehmenssoftware im Finanzbereich und Geschäftsführer von Targens

Nur noch wenige Monate bis zur Ablösung der IBOR-Referenzzinssätze. Noch werden die Interbank Offered Rates als Benchmark für den Durchschnittskurs verwendet, zu dem Kredite von ausgewählten internationalen Banken unbesichert auf dem Interbankenmarkt aufgenommen werden können. Zukünftig sollen die sogenannten Risk-Free-Rates (RFR) diese Aufgabe übernehmen.

Warum ist eine Umstellung überhaupt notwendig? Zum einen wurden die IBOR-Referenzzinssätze stark kritisiert, nachdem sich zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts Manipulationsvorwürfe bestätigt hatten. Zahlreichen Banken wurde damals vorgeworfen, sich durch Absprachen in Bezug auf den LIBOR Vorteile verschafft zu haben. Eine künstliche Niedrighaltung des Referenzzinssatzes sollte für größere Gewinne sorgen und die Banken während der Finanzkrise von 2007 bis 2009 besser dastehen lassen. Mittlerweile wurde ein Teil der damaligen Akteure zu empfindlichen Strafen verurteilt.

Zudem verstärkte sich der Rückgang der Markt- und Handelsliquidität seit der Finanzkrise auf den Interbankenmärkten zunehmend, da die Transaktionen deutlich zurückgegangen waren. Aufsichtsbehörden auf der ganzen Welt und Arbeitsgruppen der einzelnen Währungsräume beschäftigten sich deshalb mit der Stärkung von Compliance- und Governance-Vorgaben, sowie mit der Entwicklung alternativer risikoloser Zinssätze.

Was ändert sich konkret?

Die neuen Risk-Free-Rates verhindern solche Manipulationsmöglichkeiten bereits im Vorfeld. Denn sie werden nicht wie bisher durch Expertenmeinungen festgelegt („forward looking“), sondern tagesaktuell auf Basis tatsächlich getätigter Transaktionen berechnet („backward looking“). Das ganze System soll dadurch robuster werden und vor manipulativen Eingriffen geschützt werden. Grundsätzlich sind von der Reform Abläufe in allen Kundenbereichen betroffen. Neben den Vorteilen stellt der Wechsel von IBOR auf RFR Unternehmen auch vor große Herausforderungen und sorgt für einen enormen Arbeitsaufwand.

Neben Geschäftsprozessen müssen sowohl IT-Infrastrukturen neu eingerichtet als auch Governance- und Kontrollsysteme aktualisiert werden, um einen möglichst reibungslosen Übergang zu gewährleisten. Außerdem unterscheiden sich die RFRs sowohl in der Höhe als auch in der Volatilität von den bisherigen Zinssätzen, was eine Anpassung der Risikomanagementsysteme nötig macht. Die Überarbeitung der Referenzzinssätze führt zudem zu einer Veränderung der Risikovorsorge sowie einer Bestimmung des beizulegenden Zeitwerts, was sich unter anderem auf Bilanz und GuV auswirkt.

Wie kann der Transformationsprozess gelingen?

In einem ersten Schritt haben Finanzinstitute die Identifizierung relevanter Positionen und eine Auflistung der betroffenen Produkte sowie die Evaluierung finanzieller, rechtlicher, regulatorischer und betrieblicher Risiken in Angriff genommen. Wichtig zu beachten war dabei, dass die neuen Referenzzinssätze in allen Neu- und Altverträgen, die über 2021 hinauslaufen, integriert werden. Kunden müssen zudem über die Vertragsumstellungen informiert werden. Da viele verschiedenen Kundengruppen von der Reform betroffen sind, sind eine zielgerichtete Kommunikation und Transparenz besonders entscheidend.

Der nächste Schritt waren Betroffenheitsanalysen. Rückfallklauseln (Fallbacks) mussten identifiziert und Verträge auf Rückfallklauseln überprüft werden, bevor weitere Szenarioanalysen durchgeführt werden konnten. Anschließend konnte ein Umsetzungsplan erarbeitet werden, der die Auswirkungen auf das Produktportfolio der Bank sowie die nötigen Änderungen von Infrastruktur und Prozessen ermittelt. Aktuell befinden sich nun viele Banken bereits in der Umsetzung eines IBOR-Reformprogramms inklusive Budget-, Human- und Ressourcenzuweisung.

Durch die Ablösung werden Manipulationen zukünftig deutlich schwieriger sein als zu IBOR-Zeiten. Klar ist aber auch: Die Umstellung auf die neuen Referenzzinssätze kann nicht von heute auf morgen gelingen. Finanzinstitute sollten damit rechnen, dass der Übergangsprozess nicht mit der IBOR-Ablösung Ende 2021 abgeschlossen sein, sondern die Branche noch mehrere Jahre beschäftigen wird.

Link zum Artikel:
https://www.geldinstitute.de/business/2021/das-ende-von-ibor—was-aendert-sich-fuer-die-finanzbranche–.html

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